Gegen 11 Uhr war ein älteres Ehepaar aus dem Emsland nach Angaben der Polizei in Richtung Westen unterwegs. In Höhe der „Windmühle Escher“ wich der 68-jährige Fahrer offenbar einem Auto aus, das auf seinen Fahrstreifen zog.
Der Golf prallte dabei gegen einen rechts fahrenden Opel Adam Corsa einer 24-Jährigen und kippte anschließend auf die linke Seite.


Ermittler der Polizei rekonstruierten später, dass das Auto danach noch 240 Meter auf der linken Fahrzeugseite weiter über die Autobahn rutschte, bis es gegen die rechte Leitplanke stieß und wieder auf die Räder zurückfiel.
Die Fahrerseite des Golf wurde dabei stark eingedrückt und der Fahrer schwerverletzt eingeschlossen. Seine 68-jährige Frau war leicht verletzt worden.


Alarm für den Rüstzug Rodenberg
Um 11.05 Uhr lösten die Meldeempfänger der unbezahlten Feuerwehrleute aus Rodenberg und Lauenau aus. Zusammen bilden beide Feuerwehren den Rüstzug der Samtgemeinde Rodenberg, der immer dann zum Einsatz kommt, wenn eine technische Rettung von Menschen nötig wird, zum Beispiel nach Verkehrsunfällen oder wenn jemand verschüttet wurde.


Die Ehrenamtlichen sind inzwischen bei vielen schweren Unfällen im Einsatz gewesen und entsprechend routiniert, um zügig und trotzdem vorsichtig mit ihrem Spezialgerät arbeiten zu können.
Bei unzähligen Dienstabenden bringen sie sich in ihrer Freizeit zusätzlich auch immer wieder auf den Stand aktueller Rettungstechniken.
Glück im Unglück
Noch während die Helfer zu ihren Feuerwehrhäusern fuhren, füllte sich die Unfallstelle zufällig mit professionellen Rettungsdienst-Mitarbeitern:
Der Intensivtransportwagen (ITW) der Johanniter aus Hannover war gerade auf dem Weg zu einer Patientenverlegung. Die Besatzung aus Sanitätern und einem Notarzt hielt sofort an und sperrte den mittleren Fahrstreifen mit ihrem knallgelben Großfahrzeug.


Denn immer noch fuhren Autofahrer nach Augenzeugenangaben bis dahin dicht am verunglückten Fahrzeug vorbei und gefährdeten die Menschen, die angehalten hatten und helfen wollten.
Fast gleichzeitig erreichten auch zwei hauptamtliche Rettungsassistenten (RA) aus der Region Hannover und ein RA der Johanniter-Rettungswache in Braunschweig den Unfallort in ihren Privatautos.
Sie stoppten ebenfalls und begannen zusammen mit der Besatzung des ITW, den Eingeschlossenen und die beiden Leichtverletzten medizinisch zu versorgen.
Privates Equipment zur medizinischen Versorgung
Viele Rettungsdienstmitarbeiter und auch Feuerwehrleute haben übrigens eine Menge eigenes Geld (oft mehrere hundert Euro) in die Hand genommen, um für ihre Privatautos Notfalltaschen und -rucksäcke zu kaufen, die zum Beispiel auch beim Unfall vor zwei Wochen zwischen Rodenberg und Apelern zum Einsatz kamen.


Von einigen ihrer nicht so motivierten „Kollegen“ zwar belächelt, erweist es sich dann aber als durchaus praktisch, wenn man einen Stiffneck (Halskrause) zur Stabilisierung der Halswirbelsäule, spezielles Verbandmaterial, Geräte zur Blutdruckmessung und Infusionen samt Venenverweilkanülen für einen Zugang dabei hat, um zum Beispiel einen Kreislauf durch Flüssigkeitsgabe zu stabilisieren.
Oder um jemanden professionell intubieren und wiederbeleben zu können.
Gerade im ländlichen Bereich kann es durchaus mal 20 Minuten dauern, bis der Rettungsdienst eintrifft!
So wie beim verlinkten Unfall zwischen Rodenberg und Apelern, als die lokalen Rettungswagen im Einsatz waren und der Rettungsdienst aus Stadthagen anrücken mussten…
Zusätzlich haben viele Helfer auch eine Einsatzjacke und sogar einen Helm im Auto.
Das schützt nicht nur vor Verletzungen an einem Fahrzeugwrack und macht besser erkennbar in der Dunkelheit und auf vollen Straßen, sondern hat auch einen psychologischen Effekt:
Laienhelfer an der Unfallstelle hören auf Kommandos ohne lange zu diskutieren und etwas in Frage zu stellen. 😉


Die Wagenburg
Damit Feuerwehr und Rettungsdienst sicher arbeiten können, sperrt die Feuerwehr nach der Ankunft mit ihren Großfahrzeugen immer mindestens den Fahrstreifen direkt neben den Unfallfahrzeugen.
Obwohl es offenbar Autofahrer gibt, die das für unnötige Platzverschwendung halten (schließlich könnte man sonst auf einem Fahrstreifen mehr vorbeibrausen) und Vollsperrungen so gar nicht nachvollziehen können („da ist doch noch ein Fahrstreifen frei“), zeigen schreckliche Unfälle, dass dieser Schutz dringend nötig ist.
Erst im September 2017 starben zwei Ehrenamtliche in Brandenburg, als ein LKW-Fahrer fast ungebremst auf ihr Löschfahrzeug krachte und die beiden Feuerwehrleute tödlich verletzt wurden.
So sind diese „Wagenburgen“ auch eine Absicherung nach hinten. Denn übermüdete, betrunkene oder einfach „dumme“ Autofahrer wird es immer geben, zu jeder Tageszeit.
Drei Ärzte, fünf Meinungen?
Doch zurück zum Unfall am Sonntagmorgen.
Beim Eintreffen des ersten Feuerwehrfahrzeugs hatte sich einer der Rettungsassistenten bereits auf den Beifahrersitz gesetzt und angefangen, den Eingeschlossenen medizinisch zu betreuen. Das war gefahrlos möglich, da die Seitenairbags bereits beim Unfall ausgelöst hatten.


Mit einer schweren Kopfverletzung war der Fahrer erheblich verletzt. Durch den Unfallhergang bestand zudem die Möglichkeit, dass der 68-jährige eine Rückenverletzung erlitten hatte. Auch innere Verletzungen konnten nicht ausgeschlossen werden.
Inzwischen waren auch zwei Rettungswagen, ein Notarztfahrzeug und der Rettungshubschrauber Christoph 4 aus Hannover an der Unfallstelle eingetroffen.


Während die Feuerwehrleute alles für eine technische Rettung durch das Abtrennen des Dachs vorbereiteten, kam es nach meinen Informationen zunächst zu Diskussionen unter den nun drei Notärzten, wie der eingeschlossene Patient am besten zu retten sei.
Während ein Notarzt den Patienten aus Zeitgründen über den Mitteltunnel und den Beifahrersitz rechts aus dem zerstörten Auto ziehen wollte, gab sein Kollege zu bedenken, dass eine mögliche Rückenverletzung dadurch nicht besser würde.
Der erste Ansatz der Feuerwehr sei besser, das Dach abzunehmen und den Patienten dann ohne große Querbewegungen aus dem Auto zu retten.


„Wenn sich zwei Ärzte treffen und der gleichen Meinung sind, ist einer kein echter Arzt“ habe ich mal gehört.
So lustig das klingt, muss man natürlich immer bedenken, dass auch in der Medizin viele Wege zum Erfolg führen.
Die sind auch immer von unterschiedlichen Erfahrungen, der Menge an Erlebnissen und natürlich der entsprechenden Fachrichtung des Notarztes (z.B. Anästhesie, Chirurgie, innere Medizin) beeinflusst.


Wichtig ist dann vor allem, dass alle Beteiligten kurz ihre Bedenken vortragen können.
Und dann zur Not ihren Stolz herunterschlucken, bevor man sich gemeinsam für einen Weg entscheidet.
Letzteres fällt (studierten) Medizinern nach meiner eigenen Erfahrung oft nicht leicht, zeugt aber von echter Professionalität als Teamplayer.
Die Feuerwehrleute sind dabei übrigens nur technische Berater.
Sie handeln letztlich entsprechend der Anweisung der Ärzte oder des Rettungsdienstpersonals und stehen bei solchen Diskussionen etwas zwischen den Fronten.


Es war einmal…
Kurzer Ausflug in die Vergangenheit: Früher, noch nicht mal 20 Jahre her, wurden bei vielen deutschen Feuerwehren Geräte wie Trennschere, Spreizer oder Sägen oft noch kreuz und quer beim Unfallfahrzeug abgelegt.
Sie behinderten dann die Rettungsarbeiten oder wurden zu Stolperfallen.
Außerdem war es ein gewohntes Bild, dass das Unfallauto von unglaublich vielen Helfern umringt wurde – die verständlicherweise mit anpacken wollten, aber das Stresslevel durch die Enge und das oft unkontrollierte Handeln des Einzelnen noch erhöhten.
Das führte oft zu unübersichtlichem Chaos und verlängerte oder gefährdete sogar im schlimmsten Fall die Rettungsarbeiten.


Professionalisierte Rettung
Heute arbeiten moderne Feuerwehrleute nach einem anderen Konzept:
Am verunglückten Auto sind nur die Helfer, die wirklich etwas zu tun haben. Alle anderen stehen etwas abseits bereit, um auf Zuruf etwas helfen zu können.
Ein/e Leiter/in koordiniert währenddessen den inneren Bereich und die Hilfe von außen.
Die Ehrenamtlichen des Rüstzuges aus Rodenberg und Lauenau sind inzwischen durch viele schwere Unfälle auf der A2 und B442 und unzählige Übungsdienste sichtlich routiniert und haben ihr Vorgehen in den letzten Jahren immer mehr verfeinert, fast schon choreographiert.


Ordnung dank Geräteablage
Und auch beim Gerätemanagement hat sich was getan:
Für die technischen Geräte und alles, was zur Rettung benötigt werden könnte, wird nun eine große gelbe Plane auf den Asphalt gelegt.
Beschriftete Felder zeigen darauf den eindeutigen Platz der Geräte an.
Wird etwas gerade nicht mehr benötigt oder zum ersten Mal bereitgestellt, ist es somit immer an der selben Stelle zu finden, die man auch im Training verinnerlicht hat.
Und durch die grelle Farbe wird in der Hektik auch nicht mehr über dunkle Geräte auf dunklem Asphalt gestolpert.


Rettungsschere und Säbelsäge
Um das Dach abnehmen zu können, durchtrennten die Feuerwehrleute am Sonntag schließlich innerhalb weniger Minuten die Verbindung zwischen Dach und der unteren Karosserie.
Dabei kamen eine Rettungsschere und auch eine spezielle Säbelsäge zum Einsatz.


Um Gewicht und Material zu sparen, werden bei neueren Autos die tragenden Teile immer öfter durch aufeinander geklebte, gewinkelte Bleche ersetzt, die mit der Säge meist besser durchtrennt werden können. Auch Verbundglas schneidet sie wie Butter.
Die höllische Lautstärke und starke Vibrationen machen sie aber nicht zur ersten Wahl, so dass häufig noch auf die Rettungsschere zurückgegriffen wird.


Prinzip „Stete Hand“
Bei Verkehrsunfällen mit Eingeklemmten versuchen Feuerwehr und Rettungsdienst übrigens, während der gesamten Befreiung möglichst nah mit möglichst dem gleichen Ansprechpartner am Patienten zu bleiben.
Der Verletzte hört so immer die gleiche Stimme und bekommt mehr Vertrauen in die Rettungsarbeiten.
Denn zu den verstörenden Eindrücken des eigentlichen Unfalls kommen nun auch noch die Geräusche der sich nähernden Martinhörner, des landenden Hubschraubers, viele hektische Rufe und das Krachen und Knacken beim Durchtrennen der Karosserie hinzu.


Weil der Verletzte bei den Rettungsarbeiten für gewöhnlich auch mit einem Helm und einer Decke vor herumfliegenden Trümmern regelrecht abgekapselt wird, ist ein naher Ansprechpartner als psychischer Halt sehr wichtig.
Viele Unfallopfer haben später berichtet, dass sie selbst im Dämmerzustand nach einer Medikamentengabe noch diese „stete Hand“ wahrgenommen und als beruhigend empfunden haben.


Und auch für den Rettungsdienst hat dieses Prinzip klare Vorteile:
Wer den Patienten von Anfang an direkt betreut, erkennt sofort Verbesserungen oder Verschlechterungen der Vitalfunktionen.
Außerdem weiß er immer, welche Medikamente schon gegeben wurden.
So mag es für Außenstehende merkwürdig gewirkt haben, dass einer der zufällig vorbeikommenden Rettungsassistenten in seiner Privatkleidung, nur mit einem Feuerwehrhelm geschützt, bis zur Befreiung beim Verletzten im Wrack saß und ihn versorgt hat, ohne von der Besatzung eines Rettungswagens abgelöst zu werden.
Aus medizinischer (und menschlicher) Sicht ist das aber nachzuvollziehen.


Rückenschonende Rettung
Nachdem das Dach in wenigen Minuten abgetrennt und von mehreren Feuerwehrleuten weggetragen worden war, konnte der Verletzte 68-jährige schonend aus dem Auto gerettet werden.
Feuerwehrleute bestehen hier übrigens auf das Wort „gerettet“, denn nur Tote werden „geborgen“.
Dazu wurde ein rund 1,85 Meter langes, hartes Brett, das sogenannte Spineboard („Spine“: engl. für Wirbelsäule), von oben unter den Rücken des Unfallopfers geschoben und die Rückenlehne des Fahrersitzes anschließend zusammen mit dem Brett nach hinten gedreht, bis der Verletzte komplett auf dem Board lag.


So gelang es anschließend, ihn ohne große Bewegungen an der Wirbelsäule zunächst mit vielen Helfern aus dem Auto und dann auf die bereitgestellte Trage zu hieven.





Nach einer längeren Behandlung im Rettungswagen wurde der Mann schließlich mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus geflogen.
Seine Ehefrau war bereits zuvor leicht verletzt mit einem Rettungswagen transportiert worden.







RTW aus Bad Münder unterstützt
Nachdem auch der Beifahrer aus dem Opel über leichte Verletzungen klagte, wurde ein weiterer Rettungswagen auf die Autobahn 2 gerufen. Dafür war nur ein Fahrzeug aus Bad Münder frei, das entsprechend lange zur Unfallstelle brauchte.


Sperrung noch bis 14 Uhr
Für die Rettungsmaßnahmen war die Autobahn in Richtung Dortmund bis kurz nach 12:00 Uhr voll gesperrt. Danach wurde eine Fahrspur wieder freigegeben.
Erst gegen 14:00 Uhr war auch die Unfallaufnahme und Bergung der Fahrzeuge abgeschlossen und die Autobahn konnte wieder vollständig freigegeben werden..




Redaktionelle Anmerkung: Bei dem Opel Adam handelte es sich um einen Corsa. Man sollte meinen, dass in einer offiziellen Pressemitteilung der Polizei solche Fakten stimmen. Ich habe das korrigiert.
Auch haben mir Rettungskräfte geschrieben, dass sie eigentlich vier Verletzte versorgt hätten. Statt drei, wie in der PM der Polizei gemeldet…
Weitere Fotos vom Einsatz







