Autobahn 2: Stundenlanger Einsatz nach Unfall mit Gefahrgut-LKW am Stauende

Ein LKW ist am Mittwochmorgen (06.10.21) auf der Autobahn 2 zwischen Lauenau und Bad Nenndorf auf einen Lastwagen mit Gefahrgut geprallt. Für 110 Feuerwehrleute entwickelte sich daraus ein neun Stunden langer Einsatz, während dem auch eine Schwangere im Rückstau betreut werden musste und ein Verkehrsunfall auf der B442 bei Messenkamp hinzukam. Trotz Lotsung durch die Polizei benötigte ein Spezialunternehmen wegen einer fehlenden Rettungsgasse von Bad Eilsen bis zur Unfallstelle rund zwei Stunden. Auf den Straßen und in den Dörfern um die A2 kam es zu chaotischen Szenen.

Zuletzt aktualisiert:

Es sah alles nach einem der Einsätze aus, mit denen die Freiwilligen Feuerwehren an der Autobahn 2 immer wieder zu tun haben und die schon fast zur Routine geworden sind:

An einem Stauende in Richtung Hannover, so meldeten Anrufer gegen 9.54 Uhr über den Notruf 112, sollte ein 40-Tonner auf einen weiteren LKW gefahren sein.

Die Ersthelfer hatten angegeben, dass mindestens ein Fahrer schwer verletzt und noch in seiner Zugmaschine eingeklemmt sei.

Völlig zerstört: Die Kabine des auffahrenden Sattelzugs eines deutschen Spediteurs (Foto: n112.de/Stefan Hillen)
Völlig zerstört: Die Kabine des auffahrenden Sattelzugs eines deutschen Spediteurs (Foto: n112.de/Stefan Hillen)

Für die Leitstellen-Disponenten war aus den Anrufen nicht hundertprozentig klar, wieviele Menschen tatsächlich eingeklemmt waren.

Deshalb lösten sie das Stichwort „VUKM1“ (Verkehrsunfall mit mehreren Eingeklemmten) aus.

Um 9.55 Uhr wurden die Ehrenamtlichen aus Pohle, Rodenberg und Lauenau per Melder und Sirene alarmiert.

Diese Feuerwehren haben aufgrund vieler schwerer Unfälle auf der A2 und B442 inzwischen eine große Zahl erfahrener Spezialisten für die Rettung von Eingeklemmten in ihren Reihen, die sich in ihrer Freizeit auch immer wieder für Einsätze dieser Art fortbilden.

Schon weniger als drei Minuten nach der Alarmierung fuhr das erste Fahrzeug in Richtung Autobahn los.

Erste Meldung über Gefahrgut

Noch während die ersten Feuerwehrfahrzeuge sich durch den Rückstau zum Unfallort kämpften, wurden die Helfer über Funk informiert, dass einer der Lastwagen Gefahrgut geladen haben sollte.

Die Ladung mit der UN-Nummer 3263 sei vermutlich beschädigt worden und laufe aus.

Ein Loch klafft in der Plane, dahinter ist der beschädigte Behälter mit der Salzsäure zu sehen. Die Metallstange hatte ihn relativ weit oben durchstoßen. (Foto: n112.de/Stefan Hillen)
Ein Loch klafft in der Plane, dahinter ist der beschädigte Behälter mit der Salzsäure zu sehen. Die Metallstange hatte ihn relativ weit oben durchstoßen. (Foto: n112.de/Stefan Hillen)

Der Stoff ist als stark ätzend und gesundheitsgefährdend eingestuft.

Für die Helfer von Feuerwehr und Rettungsdienst eine an den Nerven zehrende Situation:

Obwohl sie schnell helfen wollten, mussten sie nun noch mehr als sonst auf die eigene Sicherheit achten und durften nicht ohne Schutzausrüstung zum verunglückten Fahrzeug gehen.

Unklare Angaben von Ersthelfern

Bei Meldungen über Unfälle mit beteiligten LKW oder Transportern fragen die Mitarbeiter des Notruf 112 standardmäßig ab, ob eines der beteiligten Fahrzeuge Gefahrgut geladen hat.

Dies ist für Laien zum Beispiel an einer orangen rechteckigen Tafel mit oder ohne Nummer zu erkennen, die vorne und hinten am Fahrzeug(-gespann)  angebracht sein muss.

Transportiert ein Lastwagen mehrere gefährliche Stoffe, werden auf den orangenen Warntafeln allerdings keine Nummern angegeben.

 

 

Die ersten Anrufer hatten die Tafeln offenbar nicht wahrgenommen.

Glücklicherweise hielten aber über die folgenden Minuten hinweg wohl mehrere Menschen an, um zu helfen – und teilten der Leitstelle weitere konkrete Informationen mit.

Alarm für die Umweltschutzeinheit

Rodenbergs stellvertretender Gemeindebrandmeister Tobias Komossa war als Besatzung des Rüstwagens zur Einsatzstelle unterwegs, da bei „normalen“ Verkehrsunfällen mit Eingeklemmten in diesem Abschnitt die Einsatzleitung von der Feuerwehr Lauenau übernommen wird.

Komossa forderte aufgrund der erweiterten Meldung aber schon auf der Anfahrt bei der Leitstelle weitere Spezialkräfte an.

Acht Minuten nach dem ersten Alarm wurde so um 10.03 Uhr die Alarmstufe erweitert.

Dadurch rückte nun auch die Umweltschutzeinheit (USE) unter Leitung von Benjamin Heine aus, die aus dem Gerätewagen Gefahrgut (GW-G) samt unterstützenden Fahrzeugen, dem ABC-Zug, der Mess- Leitkomponente und dem Wechselladerfahrzeug für Atemschutz – Strahlenschutz (GW-AS) gebildet wird.

Gerätewagen Gefahrgut (GW-G) der Umweltschutzeinheit USE (Foto: n112.de/Stefan Hillen)
Gerätewagen Gefahrgut (GW-G) der Umweltschutzeinheit USE (Foto: n112.de/Stefan Hillen)

Die einzelnen Komponenten sind dezentral über den Landkreis Schaumburg verteilt und werden von ehrenamtlichen Helfern verschiedener Ortswehren besetzt, die in ihrer Freizeit aufwändige Schulungen zum Umgang mit gefährlichen Stoffen und Umweltbedrohungen absolviert haben.

Vermutlich durch einen Fehler im Leitstellenrechner wurden allerdings die Feuerwehren Hülsede und Schmarrie offenbar zunächst „vergessen“.

Sie sind Teil der Dekontaminationseinheit der Samtgemeinde Rodenberg und wurden rund 20 Minuten später manuell von der Leitstelle nachalarmiert.

Korrektur: Offenbar hatte die Leitstelle die USE noch über das Stichwort VUKM1 alarmiert. Da Schmarrie und Hülsede damit nicht automatisch mitalarmiert wurden, geschah dies erst, als das Stichwort rund 20 Minuten später zu „G3C“ (Gefahrgut-Unfall Stufe 3 mit Chemikalien) geändert wurde.

Rettungsgassen-Trick

Am Einsatzort waren inzwischen die ersten Feuerwehrleute und der Rettungsdienst eingetroffen und hatten in einem Sicherheitsabstand von rund 50 Metern hinter dem LKW angehalten.

Aufgrund jahrelanger Erfahrung mit nicht gebildeten Rettungsgassen ließ Einsatzleiter Stefan Ostermeyer, stellvertretender Ortsbrandmeister in Lauenau, den Verkehr trotz der unklaren Lage noch weiter rollen, bis alle Helfer der ersten Alarmierung am Einsatzort angekommen waren.

Erst danach wurde die Fahrbahn in Richtung Hannover voll gesperrt.

Offenbar eine richtige Entscheidung, denn schon kurz nach der Vollsperrung blockierten LKW auf zwei, teilweise sogar drei Fahrspuren, immer wieder komplette Abschnitte der Fahrbahn für Großfahrzeuge.

 

 

Alle anfahrenden Fahrzeuge der USE wurden deshalb direkt über die Anschlussstelle Bad Nenndorf entgegengesetzt der Fahrtrichtung zur Unfallstelle umgeleitet.

Fahrer nicht eingeklemmt

Eine erste schnelle Sichtung des Unfallortes von Feuerwehrleuten unter Atemschutz ergab, dass der auffahrende 53-jährige LKW-Fahrer entgegen der späteren Pressemeldung der Polizei nicht eingeklemmt, sondern offenbar schon von mutigen Ersthelfern befreit worden.

Der Mann befand sich psychisch jedoch in einer Schockstarre und konnte keine klaren Angaben machen, ob sich noch jemand in der völlig zerstörten rechten Seite der Kabine seines Lastwagens befand.

Der 21-jährige Fahrer des ersten LKW war unverletzt geblieben.

Aus diesem Wrack entkam der 53-jährige Fahrer mit leichten Verletzungen (Foto: n112.de/Stefan Hillen)
Aus diesem Wrack entkam der 53-jährige Fahrer mit leichten Verletzungen (Foto: n112.de/Stefan Hillen)

Eine Sichtung des Anhängers aus sicherer Entfernung ergab, dass tatsächlich auf der rechten Seite des vorderen, in Deutschland zugelassenen, Lastwagens eine Flüssigkeit von der Ladefläche auf die Fahrbahn tropfte.

Der Atemschutztrupp entschied daraufhin freiwillig, trotz der chemischen Gefahr die rechte Tür aufzubrechen und das Wrack zu durchsuchen.

Die Ladung im auffahrenden LKW ist durch den Aufprall verrutscht und hat die Kabine von hinten zusätzlich eingedrückt (Foto: n112.de/Stefan Hillen)
Die Ladung im auffahrenden LKW ist durch den Aufprall verrutscht und hat die Kabine von hinten zusätzlich eingedrückt (Foto: n112.de/Stefan Hillen)

Bis die Spezialisten der USE am Einsatzort eingetroffen und sich in ihre Schutzanzüge gekleidet hätten, wäre ein unentdeckter Schwerverletzter sicherlich gestorben.

So ist dieses Vorgehen kein falsch verstandenes Heldentum, sondern tatsächlich ein sehr mutiger Schritt von gut ausgebildeten, aber unbezahlten (!) Ehrenamtlichen gewesen, die am Ende des Tages alle wieder heil zu ihren Freunden und Familien zurückkommen möchten.

(Foto: n112.de/Stefan Hillen)
(Foto: n112.de/Stefan Hillen)

Christoph 4 dreht wieder ab

Nach einer schnellen Trauma-Untersuchung (STU) und erster Versorgung durch Notarzt und Rettungswagen-Besatzung war klar, dass der 53-Jährige oberflächlich tatsächlich nur leicht verletzt war.

Der Rettungshubschrauber Christoph 4 aus Hannover kreiste zu diesem Zeitpunkt bereits über der Einsatzstelle auf der Suche nach einem Landeplatz.

Von der Feuerwehr war ein Mindestabstand von 200 Metern zu den Unfallwracks für ihn festgelegt worden, damit die Verwehungen der Rotorblätter eventuelle giftige Gase nicht großräumig aufwirbeln und verteilen würden.

Nachdem der Fahrer nur leicht verletzt klassifiziert war, entschied sich die Besatzung, ohne Landung wieder abzudrehen.

Um innere Verletzungen gänzlich auszuschließen, wurde der LKW-Fahrer kurz darauf mit dem Rettungswagen, entgegengesetzt der Fahrtrichtung durch die spärlich vorhandene Rettungsgasse, in ein Krankenhaus gebracht.

Die Autobahn Richtung Hannover rund fünf Stunden nach dem Unfall: LKW wenden auf Anweisung der Polizei und fahren zur Anschlussstelle Lauenau zurück (Foto: n112.de/Stefan Hillen)
Die Autobahn Richtung Hannover rund fünf Stunden nach dem Unfall: LKW wenden auf Anweisung der Polizei und fahren zur Anschlussstelle Lauenau zurück (Foto: n112.de/Stefan Hillen)

Wind bläst aus richtiger Richtung

Bei Einsätzen mit Gefahrstoffen ist immer die Windrichtung zu beachten. So können die transportierten Substanzen ab bestimmten Temperaturen verdampfen oder ausgasen und damit auch Menschen gefährden, die sich in zu geringer Entfernung aufhalten.

In diesem Fall war das Glück mit den Rettungskräften (und Ersthelfern): Ein starker Wind blies in Fahrtrichtung Hannover mit einer Tendenz leicht von Rodenberg aus in Richtung Deister.

Eine Sperrung der Fahrbahn Richtung Dortmund war deshalb nicht nötig.

Während die Feuerwehr vorsichtshalber einen mehrteiligen Löschangriff in rund 25 Metern Entfernung zu den Wracks am westlichen Ende der Einsatzstelle bereitstellte, baute sich die USE rund 150 Meter von den Unfallfahrzeugen entfernt auf, außerhalb möglicher giftiger Gase.

Aus der Luft gut zu sehen: der Sicherheitsabstand mit Wind im Rücken und rechts gegen den Wind. (Foto: n112.de/Stefan Hillen)
Aus der Luft gut zu sehen: der Sicherheitsabstand mit Wind im Rücken und rechts gegen den Wind. (Foto: n112.de/Stefan Hillen)

Gleichzeitig wurde der Feldweg parallel neben der A2 gesperrt.

Alle Einsatzkräfte, die zwischen den Einsatzabschnitten zu Fuß wechseln wollten, mussten einen Sicherheitsabstand von 50 Metern einhalten und über den Acker laufen.

Führungs-Doppelspitze

Schon nachdem klar war, dass ein größerer Chemie-Einsatz bevorstand, hatte Tobias Komossa seinen Platz auf dem Rüstwagen vor Ort getauscht und begonnen, den Einsatzleiter zu unterstützen.

Aber nicht, weil er dem stv. Ortsbrandmeister von Lauenau die Einsatzführung nicht zutraute:

„So einen Einsatz kann man alleine nur sehr schwer bewerkstelligen, weil an so viele Dinge gedacht werden muss und etliche Abläufe gleichzeitig im Auge behalten werden müssen“, erzählte Komossa mir später.

Eine Doppelspitze zweier sehr erfahrener Führungskräfte sei da optimal gewesen.

Generell lobte Komossa später die sehr professionelle Zusammenarbeit aller Einheiten.

Beratung an der Einsatzstelle mit den Abschnittsleitern. (Foto: n112.de/Stefan Hillen)
Beratung an der Einsatzstelle mit den Abschnittsleitern. (Foto: n112.de/Stefan Hillen)

Das ELW-Team aus Rodenberg und Lauenau hielt währenddessen den Kontakt zur Leitstelle, der Polizei und Firmen aufrecht und setzte die Anordnungen der Einsatzleiter um, so dass die nur den Funkverkehr innerhalb der Einsatzstelle beachten mussten.

1.000-Liter-Behälter beschädigt

Nachdem alle Einheiten der Umweltschutzeinheit eingetroffen und betriebsbereit waren, überprüften Feuerwehrleute in Spezialanzügen zunächst detailliert am LKW, wo und wieviel Gefahrgut austrat.

Sie stellten fest, dass eines von drei 1.000-Liter IBC-Gebinden durch eine Eisenstange leckgeschlagen war, in dem sich Eisen-II-Chlorid befand, das in Salzsäure gelöst war.

Die UN-Nummer war von den ersten Anrufern offenbar falsch abgelesen worden, statt 3263 handelte es sich um die Nummer 3264.

Rund 150 bis 200 Liter waren nach späterer Einschätzung von USE-Leiter Benjamin Heine bereits ausgelaufen.

Notdürftig banden die Helfer die Flüssigkeit mit Spezialgranulat ab, damit nichts in die Oberflächenentwässerung gelangen konnte.

 

 

Vier Spezialisten der Umweltschutzeinheit begannen danach damit, in ihren grünen Chemikalienschutzanzügen (CSA) auf die Ladefläche zu steigen und die Flüssigkeit aus dem beschädigten Behälter umzupumpen.

Eine lange und schweißtreibende Arbeit unter teils knalliger Sonne:

Ein CSA isoliert den Träger komplett von seiner Umwelt, sodass er in radiologisch, chemisch oder bakteriologisch kontaminierter Umgebung arbeiten kann. Dabei wird auch ein Atemschutzgerät getragen, so dass jeder Feuerwehrmann rund 20 Kilo zusätzlich mit sich herumschleppt.

So ausgestattet, wurden von den Spezialisten ca. 800 Liter des beschädigten IBC mit einer sogenannten Fasspumpe in einen mitgebrachten IBC-Behälter umgepumpt.

Im folgenden Videoclip sind diese Arbeiten mit Sicherheitsabstand und bis zu 600mm Brennweite zu sehen…

 

 

Später wurden die Ladefläche und die verunreinigte Asphaltfläche mit Wasser abgespült und verdünnt. Mit einem hinzugezogenen Spezialreinigungsgerät wurde der stark verdünnte Stoff wieder aufgenommen und verhindert, dass die Umwelt durch ein Entweichen in die Oberflächenentwässerung geschädigt wurde.

Zuletzt wurden von der USE noch zwei reagierende LKW-Batterien ausgebaut und in ein Wasserbad gelegt, um sie zu kühlen.

Dekontamination

Insgesamt waren acht Feuerwehrleute in CSA-Vollschutzanzügen unter Atemschutz im Einsatz.

Während man später im Fernsehen und in Zeitungsberichten meist nur diese spektakulären Bilder sieht, werden sie von vielen, meist nicht gezeigten, Helfern im Hintergrund unterstützt.

Um sie nach dem Einsatz von möglichen anhaftenden Chemikalien zu reinigen und die Ehrenamtlichen danach sicher zu entkleiden, waren zum Beispiel einige Helfer in Schutzanzügen der sog. „Körperform 2“ im Einsatz.

 

 

Diese Anzüge sind spritzgeschützt gegen Chemikalien und können außerhalb direkter Gefahrenbereiche, wie zum Beispiel in Dekontaminationseinheiten, genutzt werden.

Der Träger schützt sich dabei mit einer ABC-Maske, die die Außenluft vor der Einatmung filtert.

Ärmel und Beinstücke werden zuvor von weiteren Helfern mit Klebeband abgedichtet.

Insgesamt waren nach Angaben von USE-Leiter Benjamin Heine 55 unbezahlte Feuerwehrleute der USE stundenlang an der Einsatzstelle. Unterstützt wurden sie von den Ehrenamtlichen aus Schmarrie und Hülsede.

Später folgte noch die Reinigung und Wiederherstellung des eingesetzten Materials an den Standorten.

Nach Beseitigung der Gefahr begutachten Mitglieder der USE die Unfallstelle (Foto: n112.de/Stefan Hillen)
Nach Beseitigung der Gefahr begutachten Mitglieder der USE die Unfallstelle (Foto: n112.de/Stefan Hillen)

Als Faustregel kann man davon ausgehen, dass dort pro Stunde Einsatz noch mindestens eine halbe weitere Stunde bei der späteren Materialpflege und dem Aufräumen aufgewendet werden musste. Alles ehrenamtlich.

Schon etwas makaber: Kurze Nieselschauer sorgten für diesen Regenbogen über der Unfallstelle (Foto: n112.de/Stefan Hillen)
Schon etwas makaber: Kurze Nieselschauer sorgten für diesen Regenbogen über der Unfallstelle (Foto: n112.de/Stefan Hillen)

Spezialfirma kämpft sich zwei Stunden durch Stau

Schon früh hatte die Einsatzleitung eine Spezialfirma aus Gütersloh in Nordrhein-Westfalen angefordert, um die umgepumpte Salzsäure, die weitere unbeschädigte Ladung und die genutzten Chemikalienanzüge zu entsorgen.

Kontaminierte Schutzanzüge liegen verpackt am Rand der Autobahn. (Foto: n112.de/Stefan Hillen)
Kontaminierte Schutzanzüge liegen verpackt am Rand der Autobahn. (Foto: n112.de/Stefan Hillen)

Aufgrund des Rückstaus, der sich bis über die Landesgrenze bei Bad Eilsen gebildet hatte, bat die Feuerwehr vorsorglich bei der Polizei um Amtshilfe in Form einer Lotsung.

Die Beamten kamen mit einem Streifenwagen, der den 40-Tonner durch den Stau eskortieren sollte.

Trotz Martinhorn und Blaulicht benötigte der Transport nach Angaben der Feuerwehr für die knapp 36 Kilometer kurze Strecke rund zwei Stunden, weil eine Rettungsgasse schlicht nicht vorhanden war und die Polizei den Weg offenbar regelrecht freikämpfen musste.

Ein Dekontaminationszelt, das später noch aufwendig gereinigt werden musste (Foto: n112.de/Stefan Hillen)
Ein Dekontaminationszelt, das später noch aufwendig gereinigt werden musste (Foto: n112.de/Stefan Hillen)

Auch Schwangere braucht Hilfe

Zwei Zwischenfälle sind noch erwähnenswert:

Nachdem die Autofahrer bereits mehrere Stunden im Stau verbracht hatten, begann die Polizei damit, zunächst alle Autofahrer und später die LKW-Fahrer wenden und zurück zur Ausfahrt Lauenau fahren zu lassen.

Für eine Hochschwangere offenbar nicht mehr rechtzeitig: Sie meldete sich über den Notruf bei der Rettungsleitstelle und klagte über Kreislaufprobleme und Unwohlsein.

Zwei Helfer der Feuerwehr Lauenau, die hauptberuflich als Notfallsanitäter arbeiten, fuhren daraufhin von der Einsatzstelle zur Frau, um sie medizinisch zu unterstützen.

Aufräumarbeiten nach der Bergung der Chemikalien (Foto: n112.de/Stefan Hillen)
Aufräumarbeiten nach der Bergung der Chemikalien (Foto: n112.de/Stefan Hillen)

Verkehrsunfall auf der B442

Gegen 12.45 Uhr meldete ein Mitglied der Feuerwehr Lauenau, das mit einem Werkfeuerwehr-Auto aus der Region Hannover auf der B442 unterwegs war, der Leitstelle über Funk einen Verkehrsunfall ohne Eingeklemmte zwischen Messenkamp und Einbeckhausen, bei dem es offenbar Leichtverletzte gegeben hatte.

Durch einen Übermittlungsfehler an der Einsatzstelle Autobahn ging die Einsatzleitung dort aber davon aus, dass Menschen eingeklemmt waren.

Die Abschnitts- und Einsatzführer befanden sich gerade in einer konzentrierten Besprechung um das weitere Vorgehen, als sie von der Meldung unterbrochen wurden.

Ersthelfer hatten sehr vorbildlich ein Warndreieck in ausreichender Entfernung aufgestellt (Foto: n112.de/Stefan Hillen)
Ersthelfer hatten sehr vorbildlich ein Warndreieck in ausreichender Entfernung aufgestellt (Foto: n112.de/Stefan Hillen)

Innerhalb weniger Sekunden habe man aufgrund dieser Meldung einen Entschluss fassen müssen, erklärte mir Tobias Komossa später.

Da die technische Rettung am LKW abgeschlossen war, habe man den Rüstwagen aus Rodenberg, die Feuerwehr Pohle und das HLF aus Lauenau von der Autobahn entgegen der Fahrtrichtung durch den Rückstau zur Unfallstelle geschickt, die im Zuständigkeitsbereich Lauenaus und Messenkamps liegt.

Der Feuerwehrmann aus Lauenau bekam das Missverständnis allerdings schnell mit und sorgte für einen Einsatzabbruch.

___

Hier sei mir eine persönliche Anmerkung gestattet: Landkreisgrenzen sind leider immer noch Lava. Sobald die nächstgelegene Feuerwehr in Sichtweite zum Unfall oder Feuer im anderen Landkreis liegt, wird trotzdem immer noch die örtlich zuständige Feuerwehr alarmiert, auch wenn sie viel weiter weg stationiert ist.

In diesem Fall wäre es natürlich wesentlich effizienter gewesen, die nahe Feuerwehr aus Eimbeckhausen im Landkreis Hameln-Pyrmont zu alarmieren, statt Fahrzeuge kilometerweit entgegengesetzt der Fahrtrichtung durch den Stau und noch durch das Verkehrschaos rund um Lauenau zu schicken.

Solcher Pragmatismus scheitert aber selten an den Leitstellen-Mitarbeitern, sondern an Vorgaben aus Kostengründen. Denn die Landkreise stellen sich nach meinen Informationen gegenseitig Rechnungen für die Einsätze. Und dann wird vermutlich lieber die Feuerwehr alarmiert, die man ja eh schon bezahlt hat…

___

Chaos rund um die Autobahn 2

Auch wenn es jedem klar sein wird, der in diesem Bereich wohnt:

Rund um die Autobahn 2 kam es wie bei jeder Vollsperrung zu einem großflächigen Verkehrsstillstand bis in entlegenere Orte hinein.

So trafen im Bereich der Auffahrt Lauenau die vom gesperrten Autobahnteilstück kommenden Autos und LKW, die auf Anweisung der Polizei gewendet hatten, auf die regulär aus Rehren kommenden Fahrzeuge dreier Autobahnspuren.

Alle Fahrzeuge mussten auf eine Spur einfädeln und dann abbiegen, ohne dass die Polizei das Abbiegen auf die B442 durch Handzeichen ermöglichte.

IBC-Gebinde und kontaminierte Kleidung auf dem Standstreifen warten auf die Abholung
IBC-Gebinde und kontaminierte Kleidung auf dem Standstreifen warten auf die Abholung

Auf der B442 staute sich der Verkehr schnell von Lauenau bis zur Kreuzung „Drei Steine“ bei Bad Nenndorf, wo die vor einiger Zeit installierte separate Rechtsabbieger-Ampel bei Vollsperrungen der Autobahn den Fluss des Umleitungsverkehrs spürbar ausbremst.

In der Gegenrichtung staute sich der Verkehr schnell von Rodenberg bis Lauenau, weil abbiegende LKW mit ihren Anhängern immer wieder die Gegenspur nach Lauenau blockierten.

Auf der Rückfahrt von der Einsatzstelle habe ich selbst 40 Minuten von der Umgehungsstraße Rodenberg bis zur Abfahrt der B442 bei der Feuerwehr Lauenau benötigt.

Auch in Apelern und den Ortschaften von der A2 Richtung B65 standen die Fahrzeuge kilometerweit.

(Foto: n112.de/Stefan Hillen)
(Foto: n112.de/Stefan Hillen)

Vermutlich mehrere 10.000 Euro Einsatzkosten

Insgesamt waren 110 unbezahlte Feuerwehrleute aus dem gesamten Landkreis Schaumburg bis zu neun Stunden im Einsatz, dazu mehrere Rettungsdienstfahrzeuge, der Rettungshubschrauber Christoph 4 und Spezialfirmen zur Reinigung, der Bergung und Entsorgung des Gefahrguts.

Nach Schätzungen an der Einsatzstelle hinter vorgehaltener Hand wurde von mindestens 40.00 bis 50.000 Euro Kosten ausgegangen.

Nicht ohne Grund forderte Schaumburgs Kreisbrandmeister Klaus-Peter Grote schon vor den Wirren der Pandemie in einem offenen Brief, dass Kommunen entlang der Autobahnen (=Straßen des Bundes) mehr finanzielle Hilfen vom Bund für Sonderfahrzeuge und Ausrüstung bekommen sollten.

Wie man hier gesehen hat, ist nicht die Frage ob, sondern nur wann diese gebraucht werden.

Dazu beziffert die Polizei den Gesamtschaden an den Unfallfahrzeugen und der Fahrbahn mit rund 110.000 Euro.

(Foto: n112.de/Stefan Hillen)
(Foto: n112.de/Stefan Hillen)

Autobahn war neun Stunden voll gesperrt

Die A2 war zwischen Lauenau und Bad Nenndorf/Bantorf in Richtung Hannover von kurz nach 10 Uhr bis 19 Uhr voll gesperrt, anschließend wurde ein Fahrstreifen wieder freigegeben.

Die Bergungsarbeiten zogen sich bis in die Nacht.

Weitere Bilder

Feuerwehrleute betrachten die nun sichere Unfallstelle, nachdem sie schon mehr als sechs Stunden im Einsatz waren. (Foto: n112.de/Stefan Hillen)
Feuerwehrleute betrachten die nun sichere Unfallstelle, nachdem sie schon mehr als sechs Stunden im Einsatz waren. (Foto: n112.de/Stefan Hillen)

Nach Beseitigung der Gefahr begutachten Mitglieder der USE die Unfallstelle (Foto: n112.de/Stefan Hillen)
Nach Beseitigung der Gefahr begutachten Mitglieder der USE die Unfallstelle (Foto: n112.de/Stefan Hillen)

Mit Abstand

Schon kurz nach dem Unfall staute sich der Verkehr. Nach der Vollsperrung blockierten LKW in zwei und sogar drei Reihen die Rettungsgasse (Foto: n112.de/Stefan Hillen)
Schon kurz nach dem Unfall staute sich der Verkehr. Nach der Vollsperrung blockierten LKW in zwei und sogar drei Reihen die Rettungsgasse (Foto: n112.de/Stefan Hillen)

Aus diesem Wrack entkam der 53-jährige Fahrer mit leichten Verletzungen (Foto: n112.de/Stefan Hillen)
Aus diesem Wrack entkam der 53-jährige Fahrer mit leichten Verletzungen (Foto: n112.de/Stefan Hillen)
Aus diesem Wrack entkam der 53-jährige Fahrer mit leichten Verletzungen (Foto: n112.de/Stefan Hillen)
Aus diesem Wrack entkam der 53-jährige Fahrer mit leichten Verletzungen (Foto: n112.de/Stefan Hillen)

Über n112.de

Moin!

n112.de ist (m)ein Blog für Feuerwehr-Nachrichten und -Reportagen vorwiegend aus Bad Münder (Lkr. HM), Lauenau, Rodenberg und dem Auetal (Lkr. SHG).

Ich bin freier Foto-/Videojournalist, Fotograf und Filmer und habe 2018/2019 auch hauptberuflich Erfahrung als Rettungssanitäter in der Stadtrettung gesammelt.

Hier berichte ich unabhängig über die Arbeit der freiwilligen Feuerwehren, Rettungsdienste und Hilfsorganisationen, um die Arbeit der vielen, meist unbezahlten, Helfer  sichtbarer zu machen. 

Hast du Hinweise für Reportagen oder Geschichten, freue ich mich hier über deine Nachricht!

Herzliche Grüße
Stefan Hillen

Folge n112.de auf