Immer wieder mal berichte ich in diesem Blog in Nebensätzen über die Personalnot bei der Polizei.
Am Sonnabend (21.09.19) gab es nun den nächsten exemplarischen Vorfall für die Unterbesetzung und Personalknappheit bei den Beamten aus Bad Nenndorf, der es jetzt einfach mal wert ist, ausführlicher beleuchtet zu werden:
Weil der Streifenwagen aus der Kurstadt stundenlang bei einem schweren Unfall auf der B442 bei Lauenau im Einsatz war, mussten Unfallbeteiligte und Freiwillige Feuerwehr bei einem weiteren Unfall mit einem Verletzten zwischen Rodenberg und Apelern bis zu 90 Minuten auf das Eintreffen von Beamten aus Stadthagen warten.
Und: Durch die einzige Notrufmeldung mit mangelhaftem Inhalt hatte sich der Einsatz von Feuerwehr und Rettungsdienst um 30 Minuten verzögert, da die Lage vor Ort nicht schnell durch Polizisten bewertet werden konnte.


Unfall an der B442: Cabrio-Fahrer schwer verletzt
Gegen 10.15 Uhr war zunächst der Rüstzug, bestehend aus den unbezahlten Helfern der Feuerwehren Lauenau und Rodenberg, auf die B442 zur Anschlussstelle Lauenau der A2 alarmiert worden. Einer der Autofahrer sollte dort nach einem Unfall eingeklemmt und schwer verletzt worden sein.
Nach ersten Ermittlungen der Polizei hatte der 62-jährige Fahrer eines Mazda CX-5 beim Abbiegen ein knallrotes Mazda-Cabrio übersehen.
Dessen 65-jähriger Fahrer versuchte noch eine Notbremsung, konnte aber den Frontalzusammenstoß nicht mehr verhindern.


Während am massiv gebauten SUV verhältnismäßig wenig Schaden entstand, entlud sich ein Großteil der Aufprallenergie auf den älteren Mazda MX-5.
Der, mit rund 1,90m Körperlänge verhältnismäßig große, Fahrer stieß bei dem Aufprall mit dem Kopf gegen die Metallkante der Windschutzscheibe und erlitt zusätzlich schwere Rückenverletzungen.
Entgegen der ersten Meldung war er aber nicht eingeklemmt.





Das ältere Ehepaar aus dem SUV und der mitfahrende Hund waren nicht verletzt worden, so dass sich die Besatzungen der zwei angerückten Rettungswagen und der Notarzt auf die Versorgung des Cabrio-Fahrers konzentrieren konnten.
Ein mitalarmierter Rettungshubschrauber wurde vom Notarzt offenbar wieder abbestellt, der Verletzte später mit dem Rettungswagen in das Nordstadtkrankenhaus in Hannover gefahren.


Die letzten der fast 50 eingesetzten ehrenamtlichen Feuerwehrleute verließen nach rund 35 Minuten die Einsatzstelle, während die Polizisten aus Bad Nenndorf für Unfallaufnahme, Räumung der Wracks und Reinigung der Fahrbahn noch bis 14.15 Uhr gebunden waren.


Zweiter Unfall zwischen Rodenberg und Apelern
Noch während die Ehrenamtlichen auf dem Weg in die Gerätehäuser waren, stießen zwischen Rodenberg und Apelern an der Einmündung nach Soldorf gegen 10.45 Uhr zwei Autos mit hoher Geschwindigkeit zusammen.
Nach ersten Ermittlungen hatte der Fahrer eines Golf 3 von Soldorf kommend nach links in Richtung Rodenberg abbiegen wollen. Dabei übersah er ein Auto, das nach Apelern unterwegs war.
Dessen Fahrer versuchte offenbar noch ein Ausweichmanöver, rammte den Golf aber trotzdem im Bereich des linken Vorderrads und schleuderte ihn um 90 Grad herum.


Autos fuhren kreuz und quer durch Unfallstelle
Während einige Zeugen und Ersthelfer sofort anhielten, um nach Verletzten zu gucken und die Unfallstelle abzusichern, fuhren andere Autofahrer rücksichtslos links und rechts an den Unfallfahrzeugen vorbei.
Die standen zwar in der Mitte der Fahrbahn und waren als Unfallstelle deutlich zu erkennen.
Die Ersthelfer berichteten aber später, dass die Autofahrer trotzdem mit teils hohen Geschwindigkeiten und über die Gegenspur durch auslaufende Betriebsstoffe und eine Menge Glassplitter rollten, die sich auf der Fahrbahn verteilt hatten – eine gefährliche Situation für Unfallbeteiligte und Helfer.
Wo blieb die Polizei?
Direkt nach dem Unfall hatte einer der Unfallbeteiligten offenbar den Notruf der Polizei gewählt und dabei nach ersten Informationen von einem Zusammenstoß, aber, wie sich erst später herausstellte, irrtümlich oder unter Schock stehend von einem Unfall „ohne Verletzte“ berichtet, so dass der Unfall in der Polizeileitstelle vermutlich keine Priorität erhielt.
Nachdem rund 15 Minuten lang keine Polizisten eingetroffen und die Situation weiterhin gefährlich war, informierte eine Ersthelferin telefonisch ihren Freund, der zum Unfallort fuhr und nach rund zehn Minuten eintraf.


Golf-Fahrer war doch verletzt
Der Fahrer des Golf hatte in der Zwischenzeit Schmerzen bekommen, die aufgrund des heftigen Unfallhergangs auf eine Kopfverletzung und eine Halswirbel-Verletzung deuteten und unbedingt in einem Krankenhaus kontrolliert werden mussten.
Bei einer bloßen Schilderung des Unfallhergangs über Notruf 112 hätte ein Disponent in der Rettungsleitstelle vermutlich vorsorglich einen Rettungswagen alarmiert.
Denn ab einer Geschwindigkeit eines der Unfallfahrzeuge von mindestens 60-70 km/h oder besonderen Unfallmechanismen geht man in der Notfallmedizin von möglichen inneren Verletzungen aus, die von außen nur schwer zu erkennen sind und sich trotzdem zu einer Lebensgefahr entwickeln können.
Ob der Disponent der Polizei bei der Meldung konkreter nach den Umständen gefragt hat, ist nicht bekannt.
Generell sollte man aber meinen, dass Unfallstellen an Einmündungen außerhalb von Ortschaften als „gefährlicher“ eingestuft werden und schnell ein Streifenwagen, zur Not aus der benachbarten Direktion, entsandt wird.
Oft genug sind Ersthelfer und Beteiligte an Land- oder Bundesstraßen in Gefahr, weil rücksichtslose Autofahrer trotz aufgestellten Wandreiecken mit hoher Geschwindigkeit durch die Trümmer fahren.
First Responder rückten aus
Der Freund der Ersthelferin, selber Rettungssanitäter, rief nach einer kurzen ersten „schnellen Trauma-Untersuchung“ über den Notruf 112 bei der Rettungsleitstelle an und forderte nun den Rettungsdienst nach.
Weil die Rettungswagen (RTW) aus Rodenberg noch in anderen Einsätzen waren und der nächste RTW aus dem 14 Kilometer entfernten Stadhagen anfahren sollte, bat der Ersthelfer zusätzlich um die Alarmierung der First Responder der Feuerwehr Rodenberg zur Absicherung der Unfallstelle, die nach dem ersten Einsatz an der B442 teilweise noch in der Feuerwache waren und deshalb innerhalb einer Minute ausrücken konnten.
Denn trotz eigener Sicherung der Unfallstelle mit einer gelben Blitzleuchte auf dem Dach und sechs Powerflare-Leuchten auf der Fahrbahn fuhren weiterhin Autos mit teils hoher Geschwindigkeit durch das Trümmerfeld – einmal sogar auf der falschen Fahrbahnseite dicht am Verletzten und dem Rettungssanitäter vorbei, der die weitere Erstversorgung fortgesetzt hatte und mit einer orangen Einsatzjacke deutlich zu erkennen war.
Ehrenamtlich mit medizinischem Hintergrund
Die Feuerwehr Rodenberg verfügt über einige Ehrenamtliche, die neben der Feuerwehrausbildung auch medizinisch weit über dem Niveau eines Erste Hilfe-Kurses ausgebildet sind.
Sind die örtlichen Rettungswagen im Einsatz und der Rettungsdienst fährt aus Rehren, Stadthagen oder Bad Münder zum Notfall nach Rodenberg, kann die Rettungsleitstelle über eine spezielle Alarmschleife diese „First Responder“ (engl. „Erstreagierende“) alarmieren.
Sie sind mit Notfalltaschen auf den Feuerwehrautos ausgerüstet und können sofort akut lebensbedrohliche Blutungen stillen oder mit der Wiederbelebung anfangen, bis der Rettungswagen eintrifft.
Viele First Responder haben solche Notfalltaschen auch im Privatauto und müssen nicht erst zur Feuerwache fahren, sollte der Notfallort auf dem Weg zur Wache liegen.
Meist sind sie hauptamtlich im Rettungsdienst beschäftigt oder haben früher dort gearbeitet und sind deshalb auch bei schweren medizinischen Notfällen routiniert.
Absicherung der Unfallstelle durch Feuerwehr
Während einige First Responder mit ihren Privat-PKW direkt zum Unfallort fuhren, rückten andere von der Wache mit mehreren Feuerwehrfahrzeugen aus, um die Unfallstelle abzusichern.
Einer der Helfer, der hauptberuflich als Notfallsanitäter auf einem Rettungshubschrauber arbeitet, übernahm die weitere Versorgung des Verletzten, während andere Feuerwehrleute die Unfallstelle nun komplett von drei Seiten sperrten und den Verkehr ableiteten.
Rund zehn Minuten später traf der Rettungswagen aus Stadthagen ein, der den Verletzten kurz darauf ins Krankenhaus fuhr.


Warten auf die Polizei
Nachdem die Feuerwehrleute die Unfallautos gesichert, die Batterie abgeklemmt und die Betriebsstoffe abgestreut hatten, begann das lange Warten auf die Polizei.
Nach meinen Informationen war erst nach mehrmaligem Drängen aus dem Polizeikommissariat Bad Nenndorf ein Streifenwagen aus Stadthagen entsandt worden, weil das eigene Fahrzeug noch an der B442 im Einsatz war.
So traf der Streifenwagen erst gegen 12.10 Uhr ein, also fast 1,5 Stunden nach dem Unfall und rund 50 Minuten nach der Alarmierung von Feuerwehr und Rettungsdienst.
Bis dahin musste die Unfallstelle durch die Feuerwehrleute gesichert werden. Einfach wegfahren und die Unfallwracks dort stehen lassen? Natürlich undenkbar!
Nicht zu vergessen, dass jeder Verkehrsunfall auch gleichzeitig ein Tatort sein kann und die Polizei eigentlich schnellstmöglich mit der Sicherung von Beweisen für und gegen einen möglichen Verursacher zu beginnen hat.
Polizisten arbeiten am Limit
Eines sei gleich klargestellt: Dieser Blogeintrag ist keine Kritik an unserer Polizei vor Ort, sondern eher am Verhalten der Landesregierung.
Denn die Polizisten müssen mit immer weniger Mitarbeitern ihre Einsätze abdecken, schieben oft viele Überstunden vor sich her und versuchen trotzdem, unser aller Sicherheit zu gewährleisten. Und das schon seit Jahren!
Ich habe in letzter Zeit immer wieder mal quer durch Niedersachsen mit Polizisten auf der Straße und aus verschiedenen Fachbereichen gesprochen, und man bekommt dabei eher den Eindruck, dass dieser Mangel schon lange politisch gewollt ist und die Polizisten (und damit die Hilfesuchenden) im Stich gelassen werden.
In Niedersachsen (knapp 8 Millionen Einwohner) waren laut einer Erhebung Anfang 2016 statistisch 231 Polizisten für 100.000 Menschen zuständig.
Niedersachsen landete damit auf Platz 12 der 16 Bundesländer!


Wen verwundert es da noch, wenn bei (viel zu selten durchgeführten) längeren Standkontrollen so viele Drogen- und Alkoholfahrer „erwischt“ werden?
Wenn nicht gerade der „Setz dich einmal im Jahr betrunken oder bekifft in’s Auto“-Tag gewesen sein sollte, darf man vermuten, dass die Zahl solcher Autofahrer stark zugenommen hat und diese Masse täglich unterwegs ist.
Erst kürzlich war auch die Feuerwehr in Eimbeckhausen im Einsatz, weil eine Frau am frühen Abend von einem Supermarktparkplatz mit über 2,4 Promille geradewegs in eine Leitplanke gefahren war.
Doch offenbar muss man zumindest im ländlichen Niedersachsen eher nicht damit rechnen, an jeder Ecke und zu jeder Zeit einer Polizeistreife zu begegnen oder kontrolliert zu werden.
Besonders nicht, wenn Kommissariate je nach Uhrzeit und Wochentag nur einen Streifenwagen einsetzen können, der dann auch noch ein riesiges Gebiet abdecken muss und neben der Bewältigung von Einsätzen gar nicht mehr Streife fahren kann…
1450 neue Polizisten – in vier Jahren!
Ganz aktuell hat Innenminister Boris Pistorius (SPD) die Einstellung von 1450 neuen Polizisten zwischen 2018 und 2022 angekündigt.
Allerdings müssen die erst studieren, und im gleichen Zeitraum gehen auch noch viele Beamte in Pension.
Hier und da fällt in diesem Zusammenhang das Wort „Nebelkerze“.
Wie „ernst“ es die Landesregierung aus SPD und CDU meint, die Ausstattung und das Arbeitsumfeld der Polizisten zu verbessern, kann man am besten wohl an diesen Zahlen sehen, die der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Dietmar Schilff, erst am Freitag in einem Interview mit der Braunschweiger Zeitung genannt hat:
„Im Haushaltsansatz für 2020 sind für die niedersächsische Polizei 17 Millionen gefordert worden. Wir sollen aber, wenn es nach der Landesregierung geht, nur 7 Millionen zur Verfügung gestellt bekommen.“
Alleine für die Sanierung maroder Wachen seien demnach zusätzlich 20 Millionen Euro notwendig. So gebe es Ratten in den Räumen des SEK in Hannover, die die Einsatzkleidung angefressen hätten und dazu quer durch’s Land viele Polizeiwachen mit massivem Schimmelbefall und undichten Fenstern.
Auch die Bezahlung der Polizisten in Niedersachsen sei demnach auf der unteren Skala im Vergleich mit anderen Bundesländern, weshalb neue Bewerber lieber dorthin oder zur Bundespolizei gingen, die zum Beispiel 400 Euro monatlich mehr zahle.
Und trotzdem gibt es nach meiner Erfahrung in Niedersachsen immer noch viele unglaublich motivierte Polizisten – was wie ein kleines Wunder erscheint, wenn man sich das Interview durchgelesen hat.
Konsequenzen auch für unsere Feuerwehren
Was hat das alles mit den Freiwilligen Feuerwehren hier bei uns zu tun?
Sie sind leider das letzte Glied in der Kette – denn wenn es niemand machen kann oder machen will, bleibt zum Schluss nur noch die Feuerwehr.
Oft genug werden die Ehrenamtlichen stundenlang benutzt, um Unfallstellen oder Einsatzstellen bei Bränden abzusichern, obwohl das eigentlich Aufgabe der Polizei wäre.
So mussten Feuerwehrleute aus Rodenberg vor einigen Wochen bei einem Motorradunfall mit Gaffern diskutieren und eine Autofahrerin daran hindern, die Feuerwehr-Absperrungen zu umfahren. Die beiden einzig verfügbaren Beamten hatten alle Hände voll damit zu tun, den Unfall aufnehmen und Spuren zu sichern.
Bei einem LKW-Brand Mitte August auf der A2 waren es wieder ehrenamtliche Feuerwehrleute, die sich in der Gegenrichtung auf die Fahrbahn stellten und die linke Spur sperrten, weil glühendheiße Trümmerstücke herübergeschleudert worden waren.
Die eigentlich zuständige Autobahnpolizei hatte erst nach rund 40 Minuten ein zweites Fahrzeug am Einsatzort, um die Feuerwehrleute auszulösen.
Feuerwehrleute dürfen nicht ausgenutzt werden!
Ohne Frage: Ehrenamtliche Feuerwehrleute helfen gerne und sind deshalb in der Feuerwehr. Aber sie tun dies in ihrer Freizeit und ohne Bezahlung!
Es darf deshalb nicht sein, unbezahlte Helfer für etwas auszunutzen, das der Staat originär mit bezahlten Mitarbeitern, sprich Polizisten, machen müsste.
Tagsüber an Werktagen verlassen dafür viele Ehrenamtliche auch noch ihren Arbeitsplatz – und es lässt sich selbst dem verständnisvollstem Chef irgendwann nicht mehr erklären, dass man ein-zwei Stunden länger als nötig weg war, da man die eigentliche Arbeit der Polizei erledigt hat.
Schaumburgs Kreisbrandmeister Klaus-Peter Grote, der immer wieder bei Politikern mit Forderungen für mehr finanzielle Unterstützung der Feuerwehren und mehr Polizei auf der Autobahn 2 anklopft, sagte auf meine Nachfrage:
„Die Kolleginnen und Kollegen der Polizei sind hoch motiviert, nur stoßen sie zwecks ausreichender Stellen und auch Ausrüstung, wie eben Fahrzeuge, an ihre Grenzen. Im Verhältnis dazu ist das Feuerwehrwesen fast durchgängig ehrenamtlich strukturiert – und auch hier stoßen wir zwecks Tagesverfügbarkeit und auch teils nicht mehr zeitgemäßer Ausrüstung an Grenzen.“
Nicht zu vergessen, dass die Feuerwehrleute nicht nur Einsätze bewältigen, sondern auch noch einen großen Teil ihrer Freizeit mit Übungen und der Ausbildung verbringen, damit sie fit für alle Arten von Notfällen sind.
Denn im Zweifel sind sie es, die immer dann als letzter Ausweg gerufen werden, wenn es kein anderer schafft…
Weitere Fotos vom Unfall an der B442


