Als die Brandsachverständigen der Polizei heute Mittag die Tatort-Siegel von der Eingangstür des Mehrfamilienhaus an der Hauptstraße 15 kratzen, weist nur noch wenig darauf hin, dass hier am Vorabend ein Mensch gestorben ist.
Das Dach noch vollkommen intakt, sind nur zwei rußgeschwärzte und zerbrochene Scheiben der Wohnung im Dachgeschoss und ein paar offenstehende Fenster die einzigen Anzeichen für das, was sich hier vor gut 16 Stunden abgespielt hat.


Kleine Brisen wehen den typischen Geruch von verbrannten Möbeln über die Szenerie.
Doch Blumen zum Gedenken an den Toten, wie sie sonst immer sehr schnell an Unglücksorten zu finden sind, hat niemand niedergelegt.
„Der Alois hat gerne mal einen getrunken, aber auch schon seit zehn Jahren seinen Müll nicht mehr rausgebracht“ erzählt einer der Bewohner.
Rolf heißt er und steht in Trainingshose und einem alten T-Shirt nachdenklich vor dem Haus, aus dem er selbst vor dem Feuer geflüchtet war.
Nun ist er mittags zurückgekommen, um ein paar persönliche Gegenstände in Begleitung der Polizei aus seiner Wohnung zu holen.


Nachbarn warnten die Bewohner
Er sei gestern gerade im Badezimmer gewesen und hätte sich beim Blick aus dem Fenster noch gefragt, was denn das für ein Nebel sei, als schon jemand von außen laut gerufen und wie wild an die Eingangstür geschlagen habe, um die Bewohner vor dem Feuer zu warnen.
Ob denn in der Brandwohnung ein Rauchmelder Alarm geschlagen habe? Wisse er nicht.
Aber „der Alois hat stark geraucht, auch in der Wohnung. Und immer Filterlose, die brennen bis zum Schluss, selbst wenn du im Bett damit einschläfst“.
Ob denn sein eigener Rauchmelder gepiept habe?
Ach, den habe er irgendwann mal abgeschraubt. Zu niedrig seien die Decken in dem alten Fachwerkhaus, das Ding habe immer wieder Fehlalarm ausgelöst.


Unterschiedliche Angaben
Was gestern Abend genau passierte, darüber gibt es unterschiedliche Angaben.
In der offiziellen Pressemitteilung der Polizei liest sich das Geschehene so:
Zwei Männer (52 und 70) aus einer benachbarten Straße, die den Brand bemerkten, brachen die Hauseingangstür zum Mehrparteienhaus auf und alarmierten die Bewohner, die daraufhin unverletzt das Haus verlassen konnten. Der 52-Jährige versuchte anschließend, auch die Wohnungstür zur Brand betroffenen Wohnung aufzuhebeln. Da ihm beißender Qualm entgegenschlug, musste der Mann schnellstmöglich das Haus wieder verlassen.
Ein anderer Bewohner gesellt sich zu Rolf und erzählt:
Als schon alle das Haus verlassen hatten, sei plötzlich jemand mit dem Fahrrad um die Ecke gekommen.Mit einer Brechstange in der einen und einem Funkgerät oder Handy in der anderen Hand sei der nach oben gelaufen, um die Tür der Brandwohnung aufzubrechen und den Alois rauszuholen. Vergeblich.
Schon am Abend waren verschiedene Versionen durch die Einsatzstelle gegeistert. So hörte man auch, dass der Wohnungsmieter selbst noch einmal in die Brandwohnung gelaufen, aber nicht wieder herausgekommen sei. Das wurde von der Polizei inzwischen aber ausgeschlossen.


Vollalarm für sieben Ortsfeuerwehren
Um 20.55 Uhr hatte die Leitstelle Weserbergland zunächst Vollalarm für die Feuerwehren aus Eimbeckhausen, Beber, Rohrsen, Nettelrede, Hamelspringe, Nienstedt und Bad Münder ausgelöst.
Weil die Rettungswagen aus Bad Münder und Rodenberg anderweitig im Einsatz waren, wurde der hauptamtliche Rettungswagen aus Rehren im Auetal alarmiert.
Zeitgleich löste die Leitstelle Alarm für einen Notarzt und die Schleife der ehrenamtlichen RTW- Bereitschaft des DRK Bad Münder aus, um nicht nur für einen verletzten Bewohner, sondern auch für die Absicherung der Feuerwehrleute bereit zu stehen.
Deren unbezahlte Helfer befanden sich zufällig bei Renovierungsarbeiten in der Unterkunft und konnten deshalb fast ebenso schnell wie ein fest besetztes Fahrzeug ausrücken.


Schneller Löschangriff verhinderte Übergreifen
Das erste Feuerwehrfahrzeug aus Eimbeckhausen traf bereits wenige Minuten nach der Alarmierung ein.
Schnell war den Feuerwehrleuten klar, dass noch eine Person in der Brandwohnung vermisst würde.
Während immer schwärzer werdender Rauch pulsierend aus dem Dachgeschoss drang, rüsteten sich Atemschutzträger zur Rettung des Vermissten aus.
Andere Feuerwehrleute schlossen erste Schläuche an.


Die Pumpe des Tanklöschfahrzeugs erreichte im Zusammenspiel mit dem Druck der Löschwasserleitung eine so hohe Wassersäule, dass die Feuerwehrleute mit ihren Strahlrohren schon vom Boden aus den ersten Löschangriff durch die Fenster der Brandwohnung durchführen konnten.
Als Sekunden später die ersten offenen Flammen aus den Dachfenstern der Hauseingangsseite loderten, stand die Wasserversorgung und das Feuer wurde daran gehindert, über die Gaube auf das Dach zu springen.
Bis zum Eintreffen der Drehleiter aus Bad Münder überbrückten sie die Zeit mit dem Aufbau einer mehrteiligen Steckleiter.


Zweiter Angriff über die Rückseite
Kurz darauf waren auch die Feuerwehren aus Beber und Rohrsen eingetroffen.
Oft in ihrer Freizeit für genau solche Ernstfälle übend, errichteten sie innerhalb weniger Minuten eine mehrteilige Steckleiter als zweiten Angriffs- und Fluchtweg, die bis in das Obergeschoss reichte.
Parallel bauten die Frauen und Männer einen weiteren Löschangriff von der schwer zugänglichen Rückseite des Hauses auf und konnten das Dach kühl halten.




Angriffstrupp findet Toten
Trotz des schnellen Einsatzes kam für einen Menschen jede Hilfe zu spät.
Der erste Trupp unter Atemschutz fand nur noch einen schwer verletzten Toten, der nicht mehr durch medizinische Hilfe gerettet werden konnte.
Im Fachjargon wird dies als „mit dem Leben nicht mehr zu vereinbarenden Verletzungen“ bezeichnet.
Polizei und Einsatzleitung entschieden, den Leichnam erst nach Beendigung der Löscharbeiten zu bergen.
Er wurde später in eine Scheune auf der anderen Straßenseite getragen, dort kurz durch einen Notarzt untersucht und später von einem Bestattungsunternehmen abgeholt.
Aufgrund der Umstände geht die Polizei davon aus, dass es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um den 57-jährigen Bewohner handelt.
Noch am Abend waren Seelsorger am Einsatzort erschienen, um den Hausbewohnern beizustehen, aber auch für die Einsatzkräfte da zu sein, die den offenbar stark verbrannten Leichnam gesehen hatten.




„Einsatzhygiene“ als Krebsvorbeugung
Helfer des ABC-Zuges aus Marienau waren angerückt, um an der Einsatzstelle das neue Konzept der „Einsatzstellenhygiene“ umzusetzen.
Dabei wird die Einsatzkleidung der direkt mit dem Ruß kontaminierten Feuerwehrleute vor Ort teilweise gereinigt oder ausgetauscht.
So tragen die eingesetzten Feuerwehrleute mögliche krebserregende Stoffe später nicht über das Feuerwehrauto in die Feuerwache, wo sie von Jedem eingeatmet oder über die Haut aufgenommen würden.


Atemschutz und Verpflegung der Helfer
Um die vielen verbrauchten Atemschutzflaschen wieder aufzufüllen oder zu tauschen, war zusätzlich der Gerätewagen Atemschutz von der Feuerwehrzentrale aus Kirchohsen nach Eimbeckhausen gefahren.
Die Verpflegung der inzwischen über 120 Einsatzkräfte übernahmen weitere ehrenamtliche Helfer der DRK-Bereitschaft aus Bad Münder.
„So zu sterben, das hat niemand verdient“
Bei Rolf scheint heute, nur wenige Stunden später, der mutmaßliche Tod seines langjährigen Nachbarn noch nicht emotional angekommen zu sein.
Vielleicht ist es aber auch Galgenhumor oder eine, durch viele Lebenstiefen vorhandene, Gleichgültigkeit, als er mit einem Augenzwinkern sagt: Doch, „er habe immer gewusst, dass dem Alois irgendwann mal seine Bude mit dem ganzen Müll abfackeln würde“.
Nach einem kurzen Moment schiebt er dann aber doch sehr ernst hinterher:
„So zu sterben, das hat niemand verdient“
Vielleicht finden sich in den nächsten Tagen deshalb doch noch ein paar Blumen vor der Haustür in der Hauptstraße 15 in Eimbeckhausen.
Hinweis: Alle Fotos sind für die eingesetzten Feuerwehren, wie immer, kostenlos zu erhalten. Bitte wendet euch bei Interesse mit einer offiziellen Mailadresse eurer Organisation an redaktion@n112.de!

